„Das trans­portiert den eigenen Stil“

Warum die Küche das neue Wohnzimmer ist und man sich heute gerne über eine edle Küche ausdrückt – Stevan Paul, Food-Journalist, Blogger und Autor zahlreicher Kochbücher, erklärt die neue Liebe zu diesem „Lebensmittelpunkt“ und zum Kochen

Fotos: Andrea Thode | Interview: Felix Denk

Herr Paul, Sie sind gelernter Koch und schreiben über so ziemlich alle Aspekte des Essens. Verbringen Sie eigentlich mehr Zeit in der Küche oder am Schreibtisch?
Das wechselt. Es gibt Zeiten, da bin ich als Foodjournalist viel auf Reisen. Und dann habe ich immer wieder Phasen, in denen ich konzentriert an meinen Büchern arbeite. Ich mache da alles: Denke mir das Thema aus, produziere die Gerichte im Studio und schreib die Texte. Da pendle ich dann zwischen Schreibtisch, Studio und natürlich meiner Küche.

Die Küche gilt vielen ja als das neue Wohnzimmer. Was glauben Sie ist der Grund?
Tatsächlich verschwindet die klassische Versorgungsküche gerade, die lange der Standard war. Zwei neue Trends treten an ihre Stelle. Einmal die große Wohnküche, die Kochen und Essen zusammenbringt. Da geht es stark um die Geselligkeit, was man dafür natürlich braucht, sind offene, schöne Räume, dann ist das ein Traum. Eine Variante davon, die seit neuestem recht populär ist, ist die Gartenküche. Vor ein paar Jahren ging das los mit einem Webergrill, dann haben die Männer – denn die sind das meistens – angefangen, ein Spülbecken, eine Wärmevorrichtung, große Küchen in den Garten zu installieren. Und auf der anderen Seite macht sich bei den Küchen die demografische Veränderung bemerkbar. Vor allem in den Großstädten haben wir eine Singlebevölkerung mit vielen alleinstehenden jungen Menschen, die viel arbeiten, und vielen alleinstehenden älteren Menschen, die nicht mehr arbeiten. Für diese Gruppen macht der neue Häuserbau die Küchen immer kleiner, weil der Wohnraum gebraucht wird. Oft bleibt dann nur noch so ein kleiner Verschlag übrig, in dem man etwas aufwärmen kann. Das ist auch ein Grund, warum die Streetfood Geschichte so groß geworden ist: Wenn man nicht mehr zuhause isst, dann muss man ja wo anders hin.

„Wer heute kocht, hat nicht Hunger, sondern Geschmack“

Gleichzeitig gibt es eine unübersehbare Konjunktur des Themas Kochen — wie man an den Kochshows, aber auch an den vielen neu erscheinenden Kochbüchern sieht.
Das stimmt. Kochbücher werden immer noch gut gekauft. Den Verlagen geht’s viel besser als denen, die Literatur veröffentlichen, die haben viel größere Einbußen. Die Leser schätzen die gut gemachten informativen Kochbücher, die über reine Rezeptsammlungen hinausgehen. Ich weiß bloß nicht, wie viel davon noch gekocht wird. Ich habe den Verdacht, das ist wie wenn man sich eine „Schöner Wohnen“ oder eine „AD“ kauft, mit viel Genuss liest und im Anschluss aber trotzdem nicht das ganze Haus renoviert.

Die Rückkehr des Echten: Das gestiegene Interesse an der Herkunft von Lebensmitteln passt zur neuen Freude am Handwerklichen.

Woher kommt dieses Interesse? Vielleicht weil man das Kochen eben nicht digitalisieren kann? Weil die Küche ein Ort des Dinglichen, des Anfassbaren ist?
Auf jeden Fall gibt es ein sehr großes Interesse nicht nur am Kochen, sondern auch an den Produkten und an ihrer Herkunft, wie wurden sie gemacht, wo wurden sie gemacht. Dazu passt der Aufschwung der neuen Handwerklichkeit – vom Craft Bier über Dry Aged Steaks bis zum Third Wave Coffee. Da ist eine junge, sehr aufgeklärte Zielgruppe und auch ein paar Mittelalte sehr hinterher, Leute wie ich, die sich das leisten können und wollen. Die wollen den Geschmack in der Küche finden, bei den Jungen merkt man auch, dass die den Industriekram satthaben. Das muss nicht immer aus einer Feinschmeckerperspektive geschehen. Gerade bei den jungen Leuten nicht, da geht es auch stark um Selbstoptimierung. Wenn ich mich gut ernähre, dann bin ich auch gut im Job und im Leben.

Zu den neuen Kochtrends gehören Einlegen, Einwecken, Fermentieren, Backen. Handwerkliche Techniken, die viel Zeit in Anspruch nehmen. Ist das ein Korrektiv gegen die Beschleunigung des täglichen Lebens?
Möglich. Was jedenfalls überwunden scheint, ist der Kochbuchtrend mit vier Zutaten in acht Minuten drei Gänge zaubern zu wollen. Gottlob! Die Leute entdecken die Schönheit, sich Zeit zu nehmen, das Meditative von Gemüseschnippeln. Das ist ja schon so eine tolle Sache. Ich genieße das sehr. Die Gerüche, die Düfte, wenn ein Teig geht und bäckt, das ist schon große Klasse. Letztlich ist das aber eine enge Zielgruppe.

Unsere Küchen sind längst Orte, mit denen wir vieles von uns ausdrücken“

Heute ist die Küche längst ein Ausdruck der Persönlichkeit. Von der Frankfurter Küche, der letzten großen Innovation auf dem Markt, konnte man das nicht sagen. Die war ja nur auf die Funktion ausgerichtet.
Klar, die Frankfurter Küche war in den 1920er-Jahren revolutionär. Sie war der Prototyp der Einbauküche. Heute kann sie unsere Ansprüche und Bedürfnisse nicht mehr erfüllen. Was damals die Funktionalität war, ist heute die Individualität. Die Küche ist ein Stück Lifestyle. Das sieht man schon an den Materialien. Viele neue Küchen arbeiten mit Naturstoffen wie Holz und Stein, die auch in der Pflege und Hygiene lange unterschätzt wurden. Das wird dann etwa mit Stahl kombiniert. Es gibt aber auch neue Landhausküchen, die längst nicht mehr so überbordend sind wie früher, sondern mit schön gebrannten rechteckigen Kacheln ganz viel Charakter haben. Das gefällt mir sehr. Ich reduziere alles Plastik aus meiner Küche, das fass ich nicht gern an.

Bei Stevan Paul dreht sich wirklich alles um Küche und Kochen. Und er kann erklären, warum das heute vielen so geht.

In ihrem Buch „Philosophie des Kochens“ steht der schöne Satz: „Kochen ist heute eher Kür und Hobby als Notwendigkeit“. Und als Schlussfolgerung: „Wer heute kocht, hat nicht Hunger, sondern Geschmack.“
Haha, bestenfalls muss man wohl sagen. Ich glaube das abgelutschte „Du bist, was du isst“ stimmt immer noch. Vielleicht mehr denn je. Unsere Küchen sind längst Orte, mit denen wir vieles von uns ausdrücken. Sie sind ein wichtiges und gerne nach Außen getragenes Stück unseres Lebensstils geworden. Man muss das nur mal mit dem Auto vergleichen. Wenn man mit einer dicken Karre vorfährt, holt man sich doch eher ein Stirnrunzeln ab. Als Lifestyle-Objekte sind die total out. Etwas ganz anderes ist es, eine tolle Küche zu haben: Das transportiert den eigenen Stil, die eigene Geschmackssicherheit, auch Achtsamkeit und Umsicht, wenn man auf Gesundheits- und Nachhaltigkeitsaspekte eingeht. Es ist ja so essentiell sich zu ernähren, dass man damit auf vielen Ebenen kommunizieren kann.

Für Sie war die Küche ja lange der Arbeitsplatz. Wie lange haben Sie in Restaurants gearbeitet?
Sechs Jahre. Immer Sternegastronomie. Von der Lehre ab, das war ein hartes, sehr lehrreiches Brett, das ich immer wieder surfen würde. Das ist der Grundstein für alles, was ich tue.

Hat Sie die Arbeit in der Küche geprägt?
Ja. Ich bin da mit 17 Jahren hin und hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung. Ich habe gelernt, konzentriert und fokussiert zu arbeiten, dass Leistung auch Spaß machen kann, dass der Stress irgendwann weggeht, wenn man in der Arbeit aufgeht. Das sind Grundsätze, die heute mein gesamtes Leben prägen. Ich bin sehr akribisch, sehr genau. Das hilft mir als Kochbuchautor. Ich weiß, dass es gut ist, keine Fehler in einem Rezept zu haben.

Kochen Sie eigentlich gerne für Gäste?
Wahnsinnig gerne. Ich koche tatsächlich jeden Abend. Das ist die Zeit, wenn meine Frau nach Hause kommt. Und wir sitzen dann auch in der Küche, obwohl unsere eher klein ist, am Tisch mit zwei Stühlen. Dann reden wir über den Tag, kommen runter während ich koche, und essen eine Kleinigkeit. Ich probier dann auch oft Sachen aus für die Kochbücher. Das ist der Moment, wo wir die Küche als Wohnraum erleben.

 

Gäbe es Stevan Paul nicht schon, müsste man ihn unbedingt erfinden. Er ist ein Unikum in der deutschen Gastrolandschaft: Er arbeitete jahrelang in der Spitzengastronomie, war einer der ersten Foodblogger in Deutschland, hat mittlerweile 14 Kochbücher geschrieben und oft auch fotografiert, ist regelmäßiger Autor bei Magazinen wie dem Feinschmecker, Mixology und Effilee und schreibt als Gastrokritiker für die Süddeutsche Zeitung. Und mit „Der große Glander“ hat er auch einen Roman veröffentlicht. Stevan Paul lebt und arbeitet in Hamburg.

Die andere Dimension von Küche

Wir sind bereit, für die individuellen Wünsche unserer Kunden immer neue Wege zu gehen. Deshalb gibt es da einiges zu zeigen und erzählen.